Journal | KW 27 – Bericht über Unterrichten, Reisen und unerwartete Herausforderungen

Ich melde mich zurück aus meiner unangekündigten Funkstille.

Die letzten Wochen waren sehr herausfordernd und beruflich haben sich einige Veränderungen ergeben, die ich so nicht direkt geplant hatte – über die ich mich aber freue. Allerdings musste ich deshalb spontan auch Zeitressourcen freimachen – die jetzt hierfür gefehlt haben.

Im Juni war ich, gemeinsam mit den Mitarbeitenden an unserem Lehrstuhl, in den Vereinigten Staaten. Alle waren wir ein wenig nervös, manche mehr als andere – die Medienberichte diesbezüglich waren keine ermutigende Hilfe. Viel wichtiger, ich sollte an dem von uns angestossenen Doktoratskolloquium am Princeton Theological Seminary mein erstes eigenständiges Paper präsentieren.

Klingt erst einmal nicht nach viel Aufwand – schließlich hatte ich vor, einfach Material aus meiner Dissertation zu entnehmen und für das Kolloquium aufzubereiten. Das war zumindest mein Plan. Stellte sich raus, bis zum Ende des Semesters hatte ich nicht wirklich viel geschrieben, zumindest nach meinen Erwartungen nichts Substantielles, das ich anderen Wissenschaftlern vorlegen wollte. Also musste ich von Grund auf meine Überlegungen, die ich teilen kann, entwickeln und zu einem sinnvollen und zugleich kurzgehaltenen Text zusammenbauen.

Reise und Paper

Teilnehmer am Doktorandenkolloquium im Center for Karl Barth Studies des Princeton Theological Seminary, by Screenshot (Instagram)

Ich war im Rahmen meines Doktoratstudiums gemeinsam mit der SNF-Projektgruppe „Die Krise der Wirklichkeit. Zur Leistungskraft (post-)apokalyptischer Theologie in Zeiten kognitiv-existenzieller Unsicherheit am Beispiel Karl Barths“ zu Besuch am Princeton Theological Seminary, um uns mit anderen Karl Barth-Forschenden zu vernetzen und ins Gespräch zu kommen. Im Rahmen der Karl Barth Conference 2025 haben wir mit dem Center for Karl Barth Studies einen Workshop organisiert, zu dem jeder Teilnehmende ein Research Paper geschrieben hatte, das dann jeweils präsentiert und diskutiert wurde.

Das war sehr intensiv und lehrreich – die Doktoranden haben uns alle sehr beeindruckt und es war schön, in einen intellektuell ungehaltenen Austausch über gemeinsame Forschungsinteressen zu treten.

Der ironische Theologe – Karl Barths Weg zur verantworteten Kontingenz - Dogma Lab
Der ironische Theologe – Karl Barths Weg zur verantworteten Kontingenz - Dogma Lab

Mein Paper online zum Lesen oder als PDF zum Download.

Danach nahmen wir an der viertägigen Konferenz teil und nutzten unsere Freizeit, um Philadelphia und New York City zu besuchen. Besonders die Museen in Manhattan haben mich sehr beeindruckt, dafür würde sich ein Urlaub in NYC allemal lohnen.

Die Realität der Medien

Im letzten Jahr hatte ich erlebt, wie mich mein Nachrichtenkonsum regelrecht in eine apokalyptische Realität versetzte. Besonders die katastrophischen Beschwörungen der letzten Monate, die zeitweise auf praktisch allen Nachrichtenseiten täglich mit Trumps Gesicht auf der Titelseite Unsicherheit verbreiten. Schon seit Langem fühle ich mich nicht mehr informiert, sondern regelrecht als Spielball der nach Aufmerksamkeit haschenden Medienhäuser.

Nachrichten, neutrale Berichterstattung sollte nicht dazu führen, dass ich mich bald nur noch frage – wann Demokratien und Menschenrechte unter dem Druck der politischen Realitäten vollends kollabieren. Diese von mir als Hyperpolitisierung der Lebenswelt wahrgenommene Entwicklung, äussert sich für mich so, dass ich selbst auf Instagram oder YouTube von politischen Meinungsmachern und Influencern nicht verschont werde. Deshalb entschloss ich mich dazu, meinen Medienkonsum wesentlich zu reduzieren. Und das schon vor Monaten.

Während der US-Wahlen habe ich wieder etwas mehr politische „Berichterstattung“ gelesen und geschaut – und dabei gar nicht gemerkt, wie ich wochenlang von einem Mediensog absorbriert wurde, und wie düster meine Perspektive auf die Zukunft und die politische Einflussnahme einzelner Bürger und Parteien wurde. Erst als ich mich fragte, warum ich mich emotional so beladen, müde und traurig fühlte – realisierte ich, dass mein Medienkonsum wohl einen beträchtlichen Anteil daran hatte.

Und kaum hatte ich meinen Medienkonsum wieder eingeschränkt – was gar nicht so leicht war – ging es mir wieder deutlich besser. Entsprechend hoch war auch die Nervosität, in die USA zu reisen. Nicht nur bei mir.

Im Nachhinein kann ich sagen, zu Unrecht. Wir hatten eine wirklich angenehme Zeit, die Menschen, denen ich begegnet bin, waren immer sehr freundlich, hilfsbereit und offen. Und auch die Einreise ging problemlos vonstatten.

Einfach Glück? Bloßer Zufall? Oder sind viele unserer gewohnten Medien disfunktional, dissozial geworden?

Ich weiß es nicht. Mir ist bewusst, dass ich emotional leichter aus der Fassung zu bringen bin als der Durchschnitt. Trotzdem bin ich mit meiner Wahrnehmung nicht alleine – im März gingen die Einreisen aus der Schweiz in die USA um 34 % zurück und aus Deutschland um 28 %.

Das sind doch verrückte Zahlen. Als wären die USA über Nacht zu einem gefährlicheren Land geworden – wenn, dann waren Sie es schon davor. Nicht nachvollziehbare Verhaftungen, Deportationen und Menschenrechtsverletzungen gab es schon davor – schaue ich mir die Zahlen an, realisiere ich: gab es das schon davor in erschreckendem Ausmaß.

Die USA hat die höchste Inhaftierungsrate der Welt. Ausstellung im Eastern State Penitentiary, Foto by Ruben Cadonau

Mich wird das weiter beschäftigen, ein ökonomisch getriebenes System aus Massenmedien, das Menschen in die Hoffnungslosigkeit treibt, das unsere Wahrnehmung und unser Erleben der Realität auf eindringliche Weise unbewusst beeinflusst – einem solchen System dürfen wir uns nicht ausliefern. (Vgl. Eleanor Hayward; Mark Sellman: The link between heavy social media use and teenage anxiety, 15.10.2024, The Times; Katapult-Magazin 37/Feb-Jun 2025; Haidt, Jonathan: Generation Angst. Wie wir unsere Kinder an die virtuelle Welt verlieren und ihre psychische Geseundheit aufs Spiel setzen, Hamburg 2024.)

BrainWaves Pilot Cohort Study Launches! - BrainWaves
Throughout the month of April, BrainWaves will be running the Pilot Cohort Study with over 13,000 students from 22 different Research Schools and Colleges across the country. This exciting study consists of an annual online mental health survey, with the potential to track the same participants and their responses over a long period of time

Not every silence is complicity. Sometimes it’s the refusal to add more noise to a world that has mistaken volume for clarity. Vgl. www.instagram.com/re...

Ruben Cadonau (@dogmathink.com) 2025-06-04T11:49:21.000Z

Ich möchte informiert bleiben, und nicht – um des Profites weniger Großkonzerne und Politiker willen – verunsichert oder in die Irre geführt werden. Deshalb verfolge ich aktuelle Ereignisse, die mich interessieren, fast nur noch auf Wikipedia oder lese ausgewählte Nachrichten-Briefings, wie das der Republik – das ich sehr empfehlen kann.

Every retweet is applause. Every click a ticket. If populism is a show, then the only resistance that matters is: stop clapping, get up, turn on the lights. Choose what you pay attention to—it's your most powerful vote.

Ruben Cadonau (@dogmathink.com) 2025-07-01T06:51:14.000Z

Mir hat Hoffnung gemacht, mit Menschen vor Ort zu interagieren – mein Glaube wurde gestärkt, dass wir immer etwas tun können, dass wir verantwortlich sind vor unserem Schöpfer und dass die Welt in Bewegung gerät, wenn wir uns selbst in Bewegung setzen. Vielleicht ist das Grund genug, doch öfter als mir lieb ist, mich auf die Reise zu begeben – und die aktuelle Welt nicht bloß durch einen digitalen Stream zu erleben.

Diese Reise hat sich für mich auch und vor allem persönlich gelohnt und ich bin dankbar dafür. Desto mehr frage ich mich neu: Was ist meine theologische Antwort auf meine Zeit?