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E4 - Fragmente I - 20240416

Offenheit oder Zwang?
E4 - Fragmente I - 20240416
Photo by Pawel Czerwinski / Unsplash
„Und hat an man einen Heideggerschen Philosophiebegriff, so erkennt man in der Unternehmung, die Natur des erkennenden Wesens zur Quelle notwendiger Wahrheit zu machen, nur einen neuen Fall der Selbsttäuschung, eine ‚technische‘ und ‚wohlbestimmte‘ Fragestellung für jene Offenheit fürs Fremdartige zu substituieren, die uns anfänglich dazu brachte zu denken.“ (Rorty, Richard: Der Spiegel der Natur. Eine Kritik der Philosophie, übers. v. Michael Gebauer, [stw 686], Frankfurt a. M. 1987, 19.)

Eine Offenheit für das Fremdartige, ein Interesse für das Andersartige. All das ersticken wir ins uns, wenn wir unser Denken, unser Glauben beschränken auf das bedingt-mögliche.

Fremdes wird assimiliert, es kann uns nichts mehr lehren, ausser, dass es noch nicht zur Erkenntnis seiner eigenen Bedingung und Möglichkeit gekommen ist. Es muss kultiviert werden und sich unter das Absolute, das uns begrenzt gebeugt werden.

Die Sterblichen sehen keinen Ausweg als dem kausalen Ende des Lebens einen Namen zu geben – wenn sie versuchen ihn als eine notwendige und unbedingte zu rechtfertigen. Gegen den Wahnsinn an, gewinnen wir ihm Sinn ab. Der Ereignishorizont unseres eigenen Endes, es hat Regeln, Gesetze, die wir aufdecken, sehen, verstehen können. Der Tod ist nicht mehr das letzte, das undurchdringliche, unerbittliche Nichts – es hat einen Namen.

Kausal-notwendige Realitäten. Eine Natur, der wir nicht entrinnen können, die sich uns ohne unterlass aufdrängt. Ist das nicht das Du? Können wir der Wirklichkeit, die uns unser Mitmensch, indem er uns anspricht, als ein Du angeht, nicht als etwas Konstitutives begreifen? Können wir dieser Tatsache, dass wir Gegenüber haben, das uns anspricht, entrinnen?

„Die Idee einer ‚notwendigen Wahrheit‘ ist geradezu die Idee einer Proposition, die wir glauben, weil wir dem ‚Zugriff‘ des Gegenstandes auf uns nicht zu entkommen vermögen. Eine solche Wahrheit ist im gleichen Sinne notwendig, in dem es gelegentlich notwendig ist zu glauben, daß, was sich vor unseren Augen befindet, rot aussieht – es gibt eine von uns selbst verschiedene Kraft, die uns dazu zwingt.“ (A.a.O., 176f.)

Und gibt es nicht gerade im Glauben solche „notwendigen Gegenstände“, die keine sind? Sondern eine Person, die uns begegnet! Nicht nur, dass sie uns begegnen will und darum schon an und fürsich notwendig wäre, sondern indem sie uns tatsächlich begegnet, uns zu einer Notwendigkeit wird. Erst der Vollzug unserer Anrede, der Anrede durch ein ganz anderes, das aber ein wirkliches Du ist – wird uns diese Person zu etwas Unbedingtem und Zwingendem.

So beschreibe ich, meinen eigenen Glauben. Nicht aber als etwas an sich, also als etwas, dass sich mithilfe eines zeitlosen und neutralen Referenzpunktes allgemeingültig beschreiben liesse. Solch ein allgemeingültiges und unabhängiges Referenzraster oder Begriffssystem gibt es nicht. Das Zwingende in meinem Glauben ist mir durch Erfahrung geworden – es ist für mich, mir als Person geworden und will es immer wieder werden.

Die Not des Glaubens ist nichts, was ich ablesen, von dem ich andere mit den richtigen Argumenten überzeugen könnte, keine Einsicht, zu der man andere (zwingend) bringen müsste.

Wenn dieser Gott, das ist, was ich glaube, dass er ist. Dann kann dieser Gott sich selbst anderen imponieren. Dann muss ich nicht mehr von ihm sagen, als dass ich ihn mit meinem tätigen Glauben und meinem redlichen Zeugnis beglaubige. Theologie ist Bekenntnis und Zeugnis zugleich – nicht aber zwingender Beweis. Beweis als Selbsterweis ist sie nur dem, der schon glaubt. Indem sie diesem vor Augen führt, dass sein Glaube nicht irrational, sondern rational nachvollziehbar ist.

Ein solcher „Beweis“ allerdings ist nicht ein Beweis seiner unabhängigen und zeitlosen Wahrheit, sondern nur Beweis seiner Rationalität.

„Dem Behaviorismus in der Erkenntnistheorie geht es nicht um metaphysische Sparsamkeit, sondern um die Frage, ob man der Meinung ist, epistemische Autorität könne gewissen Behauptungen aufgrund gewisser Relationen der ‚Bekanntschaft‘ zwischen Personen und etwa Gedanken, Eindrücken, Universalien und Propositionen zukommen, oder ob man vielmehr glaubt, epistemische Autorität sei jederzeit eine Funktion von sozialer Praxis.“ (A.a.O., 198.)
„[D]iese Kontroverse betrifft nicht die Angemessenheit von Tatsachenerklürungen, sondern vielmehr die Frage, ob sich für eine Rechtfertigungspraxis ein ‚Fundament‘ in irgendwelchen Tatsachen angeben läßt. Nicht steht zur Debatte, ob die menschliche Erkenntnis tatsächlich ‚Fundamente‘ hat, sondern ob es sinnvoll ist, so etwas zu behaupten – ob der Gedanke, epistemische oder moralische Autorität habe einen ‚Grund‘ in der Natur, ein kohärenter Gedanke ist.“ (A.a.O., 199.)