Newsletter 23/4

Es war eine miese Woche, geprägt von Schreibblockaden, intensivem Denkbank drücken mit Texten von Ernst Troeltsch und einem Newsletter, der sich mehr schlecht als recht hat schreiben lassen.

Newsletter 23/4
Dall-E / Dogmathink

Mastodon

Schon länger denke ich darüber nach, mit Social Media zu brechen und nicht mehr zu nutzen. Zu viel Zeit darin fühlt sich verschwendet an. Dazu kommt das Gefühl Facebook und Co. abhängig zu sein, ohne einen für mich wirklich zweckmässigen Grund.

Erfreulich anders dagegen verhält es sich mit dem dezentralen Netzwerk Mastodon. Jetzt hab ich mich da mal registriert und die Nutzung fühlt sich besser an, wie die herkömmlichen. Es ist zwar mehr Arbeit, dieses Medium zu nutzen, weil kein Algorithmus automatisch die Toots (sc. Equivalent von Tweets) verbreitet, aber gerade das macht Soziale Netzwerke doch erst interessant? Dass die Entdeckung und das Kennenlernen anderer Menschen im Netzwerk auch echte Interaktion und das freie Spiel des Zufalls erfordert und keine allmächtige KI alles steuert, fühlt sich für mich richtig an.

Ihr findet mich auf Mastodon hier, falls ihr mal vorbeischauen wollt.

Hier falls ihr mehr über Mastodon erfahren wollt und da eine Anleitung zum Einstieg.

Ernst Troeltsch: Soziallehren (1912)

Seit letzter Woche beschäftige ich mich intensiv mit dem grossen Werk Ernst Troeltschs: Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen.

1912 veröffentlicht, ist es bis heute eines der wichtigsten Beiträge zur Religionssoziologie des Christentums.

Da ich ein Seminar besucht habe, in dem wir fast das ganze tausendseitige Werk durchgearbeitet haben, schreibe ich noch einen Leistungsnachweis, um mir die Veranstaltung für mein Studium anrechnen zu lassen.

Leider ist es sehr sperrig zu lesen, es erschlägt mich regelrecht und erweckt in mir den Eindruck, es hier mit dem Werk eines Genius mit geringem Schreibtalent zu tun zu haben.

Beispiel von Troeltschs Stil und mein Übersetzungsversuch

Hier ein Beispiel, dann könnt ihr besser nachvollziehen, womit ich kämpfe. Grundsätzlich bin ich ja ein Verfechter davon, dass Sätze auch einmal eine gewisse Länge und Verschachtelung haben dürfen und sollen. Aber bei Troeltsch trägt diese Möglichkeit der deutschen Sprache ganz eigensinnige Früchte. Im folgenden Zitat habe ich einen Satz, den ich eine Weile sezieren musste hervorgehoben:

„Die dem Dekalog und dem Naturrecht entsprechende Vernunftethik und Vernunftordnung ist die Potenz, die durch den Aktus der Gnade und die von ihm geschaffenen Habitus der übernatürlichen Tugenden erst richtig geformt und geleitet wird. Die katholische Kultur ist das von der Gnadensittlichkeit „formierte“ (relative) Naturrecht des Sündenstandes. So kann diese Ethik, solange sie von dem Vernunfttrieb und den naturgesetzlichen Sozialbildungen spricht, einen zwar den Gemeinsinn, die Liebe und die Freiheit nach Möglichkeit betonenden, aber doch völlig innerweltlich-rationellen Charakter tragen und völlig in der Weise des Aristoteles und der Araber die geistleibliche Eudämonie zum Zwecke und Organisationspunkt der Moral machen und dann doch dieses Ganze der naturgesetzlichen Ethik einem über sie übergreifenden Organismus der Verwirklichung des absoluten religiösen Zwecks einordnen als Mittelzweck und Voraussetzung, die nur berechtigt sind, wenn sie überall auf die Dienste für den absoluten Zweck bezogen werden. Die alte Kirche hatte mit den ethischsozialphilosophischen Allgemeinbegriffen der Stoa gearbeitet und ihnen die Wundergemeinschaft der Kirche als durch die Sünde noch gebrochene Wiederherstellung der vollendeten Vernunftethik gegenübergestellt. Die thomistische Ethik arbeitet mit den ethisch-sozialphilosophischen Begriffen des Aristoteles und des Neuplatonismus und stellt den ersteren eine Verbindung der kirchlichen Uebernatürlichkeit mit dem letzteren gegenüber, in der die kirchliche universale Gnadenanstalt und Wundergemeinschaft als ein prinzipiell übervernünftiges Reich der durch göttlichen Gnadeneingriff verliehenen Mystik erscheint.“ (Troeltsch, Ernst: Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen (1912), ETKG 9,1, Berlin/Boston 2021, 675.)

Meine Versuch einer Zusammenfassung des obigen Zitates

Vernunftsethik und Vernunftsordnung, die Dekalog und Naturrecht entsprechen, sind die von Gottes Gnade angeleitete Kraft (Kraft des Akt Gottes, der aus Gnade den Habitus der übernatürlichen, heiligen Tugenden schafft).

Diese Gnade formt die katholische Kultur als relatives und legitimes Naturrecht des Sündenstnades.

Solange diese Ethik von „Venrnunftstrieb und naturgesetzlichen Sozialbildungen“ ausgeht, betont sie zwar Gemeinsinn, Liebe und Freiheit, doch trägt nichtsdestotrotz einen innerweltlich-rationellen Charakter. D.h., sie spricht zwar von den heiligen Tugenden, aber hat das (innerweltliche, d.h. „geistleibliche“) Glück [sc. „Eudämonie“ der Araber und des Aristoteles] zum eigentlichen moralischen Zweck und Strukturprinzip. Gleichzeitig ordnet sich diese naturgesetzlich charakterisierte Ethik unter einen absoluten religiösen, übernatürlichen Zweck ein – dem Gnadenwunder Gottes –, der sie, die innerweltlich-naturrechtliche Ethik, als „Mittelzweck und Voraussetzung“ für sich nutzt. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass das Naturrecht seine bleibende Berechtigung nur über seinen Bezug und Dienst für die übernatürlichen Gnade behält.

Während die Ethik der Alte Kiche noch mit dem sozialphilosophischen Begriffs-Repertoire gearbeitet hatte, in der die Kirche als Wundergemeinschaft/Gnadengemeinschaft, die von der Sünde aber noch gebrochen ist, die Wiederherstellung der Vernunftsethik darstellt, d.h. den Übergang von der relativen naturrechtsethik des Sündenstandes zur absoluten naturrechtsethik der Urstandes darstellt.

So arbeitet nun die thomistische Ethik der mittelalterlichen Kirche mit einem aristotelisch-neuplatonischen Werkzeugkasten. Darin ist die Ethik der Kirche nicht mehr innerweltlich die Vollendung der Vernunftsethik dar, sondern die Abstufung der relativen Vernunftsethik hin zur absoluten als eine dem mystischen Gnadenwunder der von Gott im Glauben verliehenen Gottebenbildlichkeit gegenüber. D.h., die Kirche wird prinzipiell als etwas „übervernünftiges“ verstanden, das in der Vernunftsethik lediglich eine Entsprechung findet.

Trotzdem fühlt es sich ungemein lesenswert an. Also kämpfe ich mich schwerpunktmässig durch ein Kapitel über die Einheitskultur des mittelalterlichen Katholizismus nach den Grundsätzen der Ethik von Thomas von Aquin.

Mal schauen, ich wollte es eigentlich kurz halten, habe aber bisher nur oberflächliches Verständnis vom Text. Was es schwer macht, einen inhaltlich angemessenen Essay zu schreiben.

Ich komme darauf zurück, der Nachtrag zu dem kleinen Exkurs über das Mönchstum als Realisierung des ethischen Ideals der kirchlichen Heilsanstalt zugunsten der Massen, ist noch offen, ich schreibe es, sobald ich einigermassen in eigenen Worten formulieren kann, was Troeltsch meint.