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E2 - 20240324

Der Widerstand in uns ist Fluch und Segen zugleich. Er hält uns ab, von dem Weg, der für uns vorgesehen ist.
E2 - 20240324
Photo by nikko macaspac / Unsplash

In mein gestriges Everyday hat sich ein Fehler geschlichen, das Datum ist falsch. Ein Artefakt meines Widerstandes, es soll daran erinnern.

Das Buch von Pressfield geht mir nach. Mit seiner Beschreibung desWiderstands vorgestellt als einer realen Kraft in uns, beschreibt er nicht nur Schreibblockaden. Sondern fragt, wie viel Sucht, Krankheit, Impulsivität und Charakterschwäche entsteht, weil wir nicht auf unser Herz hören, nicht das tun, wozu uns unser „Genius“ aufruft, beruft.

Genius ist für Pressfield der Funken, den Gott in uns hineingelegt hat, es leitet uns zur Bestimmung, die Gott für uns beabsichtigte, als er uns schuf.

Jeder Künstler, Ingenieur, Handwerksmeister arbeitet aus diesem seinem ‚sakramentalen Zentrum‘ heraus. Jeder Mensch hat ein Genius, und es ist heilig, wacht über uns, lenkt uns zu unserer Bestimmung.

„everyone who creates operates from this sacramental center. It is our soul's seat, the vessel that holds our being-in-potential, our star's beacon and Polaris.“ (Pressfield, IV)

Der Widerstand dagegen ist der Schatten dieses Lichts. Und es fällt hart und schnell. Und es ist ihm egal, ob wir von ihm wissen oder nicht.

„How many of us have become drunks and drug addicts, developed tumors and neuroses, succumbed to painkillers, gossip, and compulsive cell-phone use, simply because we don't do that thing that our hearts, our inner genius, is calling us to? Resistance defeats us.“ (V)

Widerstand ist vielleicht mit dem, was Christen mit der Sünde identifizieren, zu vergleichen. Das, was uns immer wieder in die Knie zwingt, dass wir dem Gesetz (das heilig, gerecht und gut ist) widerstehen und dass wir es in unserer Verblendung verkehren, d.h. in Anspruch und besitz nehmen, als wäre es unser Gesetz, als könnten wir uns selbst tatsächlich rechtfertigen – wenn schon nicht vor Gott, dann doch vor den Menschen.

Das Gesetz ist allerdings unsere letzte, aber unbedingte Bestimmung, gerade weil es in uns diesen Schatten wirft, gerade weil es den größten, unmöglich zu überwindenden Widerstand in uns offenbart – denn Gottes Gesetz ist Gottes Gesetz. Diese Bestimmung liegt nicht in unserer Macht, wir können sie nur an uns geschehen und sein lassen, können nur annehmen die Verheissung, die jener vorausgeht im Evangelium, das Jesus Christus zum Inhalt hat.

Aber Pressfield spricht nicht von diesem geistigen Widerstand, sondern von einem vorletzten, aber nicht weniger dramatischem:

„How many of us have become drunks and drug addicts, developed tumors and neuroses, succumbed to painkillers, gossip, and compulsive cell-phone use, simply because we don't do that thing that our hearts, our inner genius, is calling us to? Resistance defeats us. If tomorrow morning by some stroke of magic every dazed and benighted soul woke up with the power to take the first step toward pursuing his or her dreams, every shrink in the directory would be out of business. Prisons would stand empty. The alcohol and tobacco industries would collapse, along with the junk food, cosmetic surgery, and infotainment businesses, not to mention pharmaceutical companies, hospitals, and the medical profession from top to bottom. Domestic abuse would become extinct, as would addiction, obesity, migraine headaches, road rage, and dandruff. Look in your own heart.“ (V)

Er spricht von der Frustration vor der Wirklichkeit und dem Anspruch unserer eigenen Existenz – nicht zu vergleichen mit Gottes Worte, das seinen ganz eigenen Anspruch an uns legt.

Er übertreibt vielleicht etwas, aber es leuchtet mir ein.

Das Leben selbst ist uns ein Widerstand; zu überwinden, zu überleben, weiterzumachen, zu wachsen, ist sein Imperativ. Widerstand ist seine modern-kulturelle Manifestation in uns.

Mir gefällt die Vorstellung, dass der Widerstand wie ein Kompass ist. Dass er gerade da, wo er sich meldet – mich angreift wie ein wildes Tier –, mir zum Indiz wird, dass es sich um eine Arbeit, Entscheidung oder Tätigkeit handelt, zu der ich gerade berufen bin.

„Like a magnetized needle floating on a surface of oil, Resistance will unfailingly point to true North—meaning that calling or action it most wants to stop us from doing.
We can use this. We can use it as a compass. We can navigate by Resistance, letting it guide us to that calling or action that we must follow before all others.
Rule of thumb: The more important a call or action is to our soul's evolution, the more Resistance we will feel toward pursuing it.“ (12)

Das Konzept wird vermutlich empirischen Maßstäben nicht standhalten, aber ich halte es für hilfreich.

Ich kann mich an so manche Situationen erinnern, die mir richtig Angst gemacht haben, und ich wusste – das mach muss ich machen.

Insofern leuchtet mir Pressfields Rede von einem universellen Widerstand in uns allen intuitiv ein.

Als ich in der Offiziersschule war, suchte der damalige Kommandant einen Freiwilligen oder eine Freiwillige unter den Offiziersanwärtern für die Rede an der Brevetierungszeremonie. Lange meldete sich niemand, und mir schauderte bei der Vorstellung daran, an diesem hochoffiziellen Anlass vor lauter fremder Menschen eine Rede – im Zweifelsfall auch noch auf Französisch – zu halten.

Dieser Widerstand machte mich stutzig. Ich hätte gar nicht so lange darüber nachgedacht, ob ich mich freiwillig melden soll oder nicht – wäre dieser verdammte Widerstand nicht gewesen, diese Angst vor dieser Situation, dieser eigentlich harmlosen, temporären, einfachen Situation.

Also machte ich es. Und mit Hilfe von meinen Kameraden war es – trotz Schweissausbrüchen – eine erfolgreiche Rede und zu aller Überraschung über die vielen positiven Rückmeldungen eine sehr ermutigende noch dazu. Auch wenn ich danach vermutlich keine vergleichbar gute Rede oder Predigt mehr gehalten habe. Aber der Widerstand nagt auch dort – vielleicht ist das ein Wink mit dem inneren Zaunpfahl.

Quellen

  • Pressfield, Stephen: The War of Art. Break Through the Blocks and Win Your Inner Creative Battles, New York 2002.
  • Barth, Karl: Evangelium und Gesetz. 1935, in: Zocher, Peter (Hg.) Karl Barth-Gesamtausgabe. Vorträge und kleinere Arbeiten 1935–1937, Bd. 55, Zürich 2020, 172-220.