4 min read

E6 - 20240320

Ich habe etwas geschummelt und meine Beiträge bisher nur halböffentlich gemacht – nur Mitglieder konnten alles lesen. Aber ich mache jetzt Ernst.
E6 - 20240320
Photo by Joshua Hoehne / Unsplash

Gestern bin ich am Ende etwas in eine Art Apologetik des Christlichen gerutscht. Gerade das will ich nicht. Es muss mir historisch bewusst sein, dass die Kirche eine politische Macht war, und die Phalanx ihrer Wahrheit die Vernunft. Die Wissenschaften waren auch da (die Theologie an vorderster Front) primär Instrument der politischen Mächte.

Nun zumindest müssen wir das einkalkulieren, ohne es absolut zu setzen. Die Ideale hinter den Universitäten waren auch schon im 15. Jhd. – als die älteste Uni der Schweiz in Basel gegründet wurde – sicherlich ernst gemeint.

„[D]ie ersten Zeilen der Stiftungsbulle des Papstes Pius II. von 12. November 1459: ‚Unter den verschiedenen Glückseligkeiten, welche der sterbliche Mensch in diesem hinfälligen Leben durch Gottes Gabe erlangen kann, verdient nicht unter die letzten gezählt zu werden, dass er durch beharrliches Studium die Perle der Wissenschaft zu erringen vermag, welche den Weg zu gutem und glücklichem Leben weist und durch ihre Vortrefflichkeit bewirkt, dass der Erfahrene weit über den Unerfahrenen hervorragt.‘“ (Uni-Geschichte)

Dass die Wissenschaft aber frei, soweit man frei damals eben fassen konnte, forschen sollte, ist die politische Absicht der scholastischen Kirche eben kein Widerspruch, denn wenn Offenbarung Gottes und Vernunft kongruieren, dann kann die Wissenschaft letztlich nur Aufdecken, was die Kirche längst predigt.

Wir wissen, wie die Geschichte Ende 18. Jhd. eine Wendung nimmt.

Das heisst ich muss anerkennen, die Theologie als Wissenschaft, d.h. als Teil einer Gemeinschaft der Gelehrsamkeit und Wahrheit/Wissen-suchenden, ist eine historisch kontingent. Damals war die Theologie selbstverständlich Bestandteil der Gelehrsamkeit – heute, wenn wir streng nach naturwissenschaftlich Maßstäben Universitäten komplett neu gründen würden – ausser die Kirche wäre wieder Stifterin –, würden vermutlich nicht nur die Theologie rausfallen.

Aber gerade das unterscheidet die „voll“ Universitäten von den spezialisierten Hochschulen oder Forschungs-Instituten.

Mir persönlich gefällt das sehr, ich besuche auch gerne – so oft es mir zeitlich geht – Lehrveranstaltungen anderer Fakultäten, die gerade meine Forschungsinteressen streifen. Ich schätze alleine die Möglichkeit und den Austausch mit anderen Perspektiven enorm.

Insofern ist Theologie natürlich nicht mit einer Verschwörungstheorie zu vergleichen, mag ihre Position an den Universitäten Europas auch historisch kontingent sein, sie hat gerade aus diesen Gründen auch einen lang bewährten Platz als anerkannte und gewürdigte Wissenschaft, das durchaus ohne ihre Wissens-Quelle, nämlich dem biblischen Offenbarungszeugnis verleugnen zu müssen. Karl Barth zählt nicht unberechtigt zu den wichtigsten Geisteswissenschaftlern des 20. Jahrhunderts, sein Denken hat auch ausserhalb der Kirche und hauseigenen Fakultät Gehör gefunden und Wellen geschlagen.

Verschwörungstheorien haben ihre Quellen oft in Schreckensszenarien und unbelegbare, bzw. sehr leicht widerlegbaren Unterstellungen und alternativen Geschichtsschreiben – also schlechten Fiktionen.

Zwar beziehen diese sich oft auf reale Ereignisse bspw. 9/11. Aber sie füllen einfach die Lücken mit wahnwitzigen Theorien, das bspw. die US-Regierung mit einer A-Bombe die World-Trade-Center zum Einsturz gebracht worden seien.

Wir brachen solche Erzählungen, um Sinn zu geben, was uns Angstmacht – aber wenn es wahnhaft, zu einer Obsession wird, schränkt es unsere Freiheit und Fähigkeit klar zu denken ein. Dann sehen wir die Wirklichkeit verzerrt, selbst wenn uns die besten Ingenieure, Politologen und Statiker den ganzen Hergang rekonstruierten und uns über die physikalischen Mechanismen, den Aufbau der Gebäudes usw. aufklären.

Der christliche Glaube existiert gerade darin, dass er bezweifelt, was er glaubt – auch wenn er es ja glaubt. Ich nenne es, methodischen Zweifel. Wenn ein Philosoph (Ludwig Feuerbach) die Theologie überführt eigentlich Anthropologie zu sein, dann muss sie das ernst nehmen – und wenn ein Biologe (Richard Dawkins) in ihr eine wahnhafte Verschwörungstheorie sieht – dann liest der Theologe sein Buch und nimmt die Bedenken ernst.

Denn gerade diese menschlichen Möglichkeiten, der Irrtum und der Wahn, sind reale Möglichkeiten auch der Theologie. Dass sie in diesem Sinne alles prüft, und sich ihres Gegenstandes intellektuell vergewissert, inwiefern sie irrt oder nicht irrt. Das gerade gerade ist ihre Wissenschaftlichkeit, ihre menschliche Aufgabe.

Das sie dies nicht notwendig an einer Universität tun müsste, wird nun deutlich. Aber dass sie es trotzdem tut, das ist das entscheidende. Es ist nicht nur die Universität, welche die „Besonderheit“ der Theologie erträgt. Es ist auch die Theologie, die es ertragen und ernstnehmen muss, nur Wissenschaft zu sein.

Aber nun: Der christliche Glaube hat ihre Quelle im Kern der abendländischen Überlieferung von Texten, die Zeugnis von einem Ereignis, einer Person ablegen – die als Gottesoffenbarung geglaubt wird. Der historische Boden dieser Tradierung ist gut belegt und wissenschaftlich schwer zu verleugnen – der Glaube an die historische Person Jesu als den Sohn Gottes dagegen ist eine Frage des Glaubens. Aber dieser Glaube ist nicht irrational, im Sinne das er sich nicht konsistent, exakt und mit wissenschaftlicher Genauigkeit mitteilen und plausibel erklären könnte. Der christliche Glaube manifestiert sich schon bei Paulus als ein intellektueller Vollzug. Gebe es keine universitäre Theologie, gebe es trotzdem „wissenschaftliche“ Theologie, dann in Klöstern, Schulen, Studienzentren, Kirchen. Der christliche Glaube existiert geradezu im Nachdenken. Das Evangelium von Jesus will sich in unserem Denken und Reden genauso wiederholen, wie in unserem Leben und Handeln.

Niklas Luhmann hat einmal gesagt, dass Theorien dazu bestimmt sind, die Wissenschaft zu steuern. Also mit anderen Worten: Theorien sollen wissenschaftliche Forschung anregen, umleiten, zu ihr anleiten oder sie abbrechen. Die Theorie ist also selbst eine wissenschaftsinterne Einrichtung. Sie ist nicht gedacht, die Gesellschaft auf ein höheres Niveau theoretischer Einsicht zu bringen, damit alle mit Problemen besser umgehen können. Es gibt zwar Ausstrahlungseffekte aus empirischen Ergebnissen – aber nicht unbedingt den dahinterliegenden Theorien – auf Medienberichte und öffentlich Wahrnehmung; Luhmann nennt hierzu das Thema des Ozonlochs in der Atmosphäre, das damals wohl aktuell war. Die Soziologie könne höchstens die Aufgaben haben, in der Gesellschaft zu vermitteln, wie komplex die moderne Gesellschaft ist, und ein Bewusstsein vermitteln wieviel und was, man vor Augen haben müsse, ehe man harte und kritische Urteile zurecht fällen könne. (vgl. Doku)

Theologie ist – im Sinne Luhmanns – aber keine reine Theorie, sie existiert nicht, um der Wissenschaft willen, sondern ihr Grundthema ist grund-ethisch, praktisch:

„Die Wirklichkeit, die sie etwa als den Menschen nicht angehende, ihn nicht in Anspruch nehmende, |888| ihn nicht zur Verantwortung ziehende, ihn nicht zurecht bringende und insofern: als theoretische Wirklichkeit anschauen und darstellen wollte, würde bei allem möglichen Reichtum ihres Wesens und bei aller möglichen Tiefe ihrer Betrachtung auf keinen Fall die Wirklichkeit des Wortes Gottes sein.“ (Barth, Karl: KD I,2, 888.)

Aber dazu morgen mehr.

Quellen

  • Niklas Luhmann (1989) – Beobachter im Krähennest, ARD Dok auf Youtube
  • Barth, Karl: Kirchliche Dogmatik, I, 2, Zürich 1938, 888.