Mk 11,15-19. FEG Langenthal 26.02.23

Jesus wirft Tische um und verscheucht Händler und Käufer aus dem Tempel. Er insistiert darauf, dass der Tempel ein Bethaus und kein Kaufhaus sei. Er will die Institution nicht ins Wanken bringen, sondern in Bewegung – damals wie heute.

Mk 11,15-19. FEG Langenthal 26.02.23
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Und sie kamen nach Jerusalem. Und Jesus ging in den Tempel und fing an, hinauszutreiben die Verkäufer und Käufer im Tempel; und die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler stieß er um und ließ nicht zu, dass jemand etwas durch den Tempel trüge. Und er lehrte und sprach zu ihnen: Steht nicht geschrieben (Jesaja 56,7): »Mein Haus wird ein Bethaus heißen für alle Völker«? Ihr aber habt eine Räuberhöhle daraus gemacht. Und es kam vor die Hohenpriester und Schriftgelehrten, und sie trachteten danach, wie sie ihn umbrächten. Sie fürchteten sich nämlich vor ihm; denn alles Volk verwunderte sich über seine Lehre. Und am Abend gingen sie hinaus vor die Stadt.
– Mk 11,15-19

Predigt

Manchmal geht es Schlag auf Schlag. Jesus prescht durch diese kurze Textpassage, mäht die Tische der Geldwechsler und Händler um, verscheucht selbst die Käufer und hält eine Predigt wie die Propheten und vollmächtig provoziert er damit besonders die jüdisch-religiösen Autoritäten, er provoziert sie gar bis aufs Blut. So sehr stösst Jesus bei ihnen mit seiner Lehre auf Widerstand, dass sich die geistlichen Autoritäten Jerusalems sogar seinen Tod wünschen.
Und was besonders hervorsticht, Markus berichtet uns auch den Grund: Sie fürchteten sich vor Jesus!

Ich meine, wir machen es uns zu leicht, wenn wir die Pharisäer, die Schriftgelehrten und Priester einfach als unmoralische, ungläubige oder unverständige Männer abschreiben. Sie waren Menschen, wie wir heute Menschen sind. Sie empfanden auch damals diesselben tiefgreifende Gefühle für ihre Nation, ihren Glauben, ihre Institution, ihren prächtigen Tempel, wie wir heute. Und natürlich, als Menschen empfanden sie auch Neid, Furcht und Sorge.

All diese Gefühle hatten diese Männer auch gemein mit den Jüngern Jesu, allzu oft waren diese in Zweifel, erschraken vor Jesus und seinen Wundern oder sorgten sich um ihn, um sein Leben oder letztlich um ihr eigenes Leben, als sie Jesus im Garten Gethsemane alleine liessen, als er verhaftet wurde, und flohen.

„Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach.“ (Mk 14,38)

Die Jünger und ihre menschlichen, fleischlichen Bedürfnisse und Gefühle unterschieden sich nicht von denen, der religiösen Anführer, die Jesus nach dem Leben trachteten.

Sie müssen der nachvollziehbaren Ansicht gewesen sein, dass das Auftreten Jesu und seine Predigt ihrer orthodoxen Lehre grundsätzlich widersprach.

Es ist schwer, wenn nicht gar unmöglich zu sagen, welche Lehrmeinungen die jüdischen Autoritäten damals wirklich vertraten, sicher ist, dass im rabbinischen Judentum, das nach der Zerstörung Jerusalems (70 Jahre n. Chr.) entstand, der Messias ganz eindeutig ein Mensch sein würde und nicht Gott selbst.[1] Möglich, dass diese Lehrmeinung im Talmud in bewusster Abgrenzung vom Christentum entstand.
Doch finden wir auch im Neuen Testament bestätigt, dass sie vor allem daran Anstoss nahmen, dass sich Jesus mit dem Gott Israels gleichsetzte. So lesen wir an einer Stelle im Johannesevangelium, dass aufgebrachte Juden Jesus steinigen wollten, weil er sich selbst mit Gott gleichgesetzt habe und damit Gott lästere.[2] Und so verurteilt ihn auch der Hohepriester am Ende der Passion im Matthäusevangelium wegen Gotteslästerung zum Tode.[3]

Doch die Jünger Jesu und seine Nachfolger im Volk glaubten an ihn, nämlich dass er der Sohn des lebendigen Gottes sei und so sprach Petrus, als Jesus ihn fragte, für wen sie ihn hielten:

„Du bist der Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“[4]

Das heisst: Anders wie die Schriftgelehrten und der Hohepriester verstanden sie Jesus als den Anfänger und Vollender ihrer jüdisch-religiösen Institution und nicht als deren Gegenteil.

Institution oder Bewegung?

Kuno formuliert in seinem Buch über Jüngerschaft seine Vision von Kirche als eine Abkehr von der Institution:

„Wir geben unser Leben nicht länger einer Institution, sondern einer verlorenen Welt hin!“[5]

Ich selbst habe mich dabei ertappt, wie ich das Neue Testament gelesen habe als einen Schauplatz zwischen Pharisäertum und barmherziger Demut, zwischen Gesetzlichkeit und Glaube, zwischen Tempel und Nachfolge, zwischen Institution und Jesusbewegung.

Und gewiss, diese kurze Geschichte kann gelesen werden als Zusammenprall von zwei unterschiedlichen Weltanschauungen. Dann steht der Tempel für die grundsätzlich zum Scheitern verurteilte religiöse Institution, während Jesus die heilsame Bewegung durch die innere Erneuerung des Herzens verkörpert.

Aber hören wir genauer hin, dann stellen wir fest, dass sich Religiosität und Glaube, Institution und Bewegung bei Jesus nicht so leicht gegeneinander ausspielen lassen.

Jesus droht gegen den Tempel, indem er erklärt, dass die jüdisch-religiösen Autoritäten ihn zu einer „Räuberhöhle“ (V. 17) gemacht hätten. Womit er auf die Gottesworte in Jeremia 7 anspielt. Darin spricht Gott zu Israel: „So will ich mit dem Hause, das nach meinem Namen genannt ist, auf das ihr euch verlasst, […] ebenso tun, wie ich mit Silo getan habe“. (Jer 7,14)
Jesus erinnert uns an den Hohepriester Eli und seine Söhne, die in am Heiligtum dienten, als es noch nicht in Jerusalem stand, sondern in der Stadt Silo. Elis Söhne aber missbrauchten ihr priesterliches Amt, indem sie sich selbst bereicherten und Gewalt gegen diejenigen übten, die sich gegen ihre Vergehen wehrten, während Eli als Hohepriester versagte, weil er sie nicht zu Rechenschaft zog und bestrafte. (vgl. 1Sam 2)
Aber auch Das Volk missbrauchte die Bundeslade Gottes, benutze ihren zum Götzen verformten Glauben als Waffe im Krieg gegen die Philister. Aber sie verloren die Schlacht, Silo wurde zerstört und ihr Heiligtum geplündert, die Bundeslade gestohlen (vgl. 1Sam 4).
Gott erinnert in Jeremia an diese Zeit als das Heiligtum für Priester und das Volk mehr einer Räuberhöhle glich als einem Bethaus. So erinnert uns auch Jesus daran, als er die Tische umwirft und gegen die gesetzwidrige Zweckentfremdung des Tempels predigte.

Jesus predigte aber nie gegen die Institution an und für sich. Einerserseits predigt er zwar von der Drohung gegen den Tempel, aber andererseits von der endzeitlichen Verheissung aus Jesaja: „Mein Haus wird ein Bethaus heißen für alle Völker“ (Jes 56,7). (Vgl. Jes 56,3-8)

Jesus stellt sich also gegen den Missbrauch der Institution und deren Macht und verkündigt die göttliche Verheissung des Heils, die sich an und durch die Tempel-Institution ereignen soll.

Bethaus und Räuberhöhle stehen somit für den „unendlichen qualitativen Unterschied zwischen Gott und Mensch“ (Kierkegaard). Die Institution und so auch der Tempel ist menschliches Bauwerk und darum auch fehlbar, steht im selben Zwiespalt von Gut und Böse wie die ganze menschliche Welt.

Und Gott will gerade trotz unserer Sünde, mitten in unserer Schwäche, unsere menschliche Religiosität heiligen, mit seinem Namen darin wohnen und unsere religiösen Institutionen im Dienst am Menschen gebrauchen, die gebaut werden in Schönheit und Pracht, als Monumente des Glaubens, der Gemeinschaft und Nächstenliebe, der Ehrfurcht vor der Gnade und Hoheit Gottes.

Erst dann, wenn wir uns auf diese Monumente verlassen, unser Herz an sie verlieren und sie an die Stelle von Gottes Namen treten, verfehlen sie das Ziel ihrer Erbauung.
Erst wenn wir unsere Monumente gegen uns wenden, sie missbrauchen, um andere Menschen auszubeuten, zu unterdrücken oder zu bestrafen, verfehlen sie das Ziel ihrer Erbauung.
Wenn unsere Kathedralen und Kirchen nicht mehr dem Leben dienen, uns das Leben vielmehr aussaugen und zu lebensfeindlichen, kalten Hohlräumen werden – dann versklaven sie uns (vgl. 1Kor 6,12; 10,23). Dann werden ihre Priester, Vorsteher und Leiter schlimmstenfalls zu Agenten des Bösen, dann wird selbst das undenkbare möglich, dann, wenn sie selbst Gott dem Kreuzestod überliefern.

Und wir dürfen uns nicht darüber täuschen, als ob Bewegungen frei von diesem Zwiespalt der Institution wären. Auch sie sind diesseitig, religiös-menschliche Institutionen, auch sie sind dem sündig-menschlichen Zwiespalt von Gut und Böse unterworfen.

Die jüdisch-religiösen Autoritäten fürchteten sich vor Jesus, vor dem Volk, vor der Innovation, vor der Kritik, dass sie den Tempel zweckentfremden.

Doch warum nahmen sie die Kritik nicht an? Warum konnte sie nicht akzeptieren, dass sie als Priester und Schriftgelehrten auch Fehler machen und es wiedergutmachen, es nächstes Mal besser machen und Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen? Hatte sie etwa Angst vor Gottes Erneuerung, die Jesus in seiner Predigt ankündigt? Einer Erneuerung nach der wir uns als Gemeinschaft auch heute immer wieder sehnen und die in Kunos Vision einer Kirche, die der Welt dient, statt sich selbst Ausdruck findet.

Erneuerung

Innovation heisst, dass etwas Neues anbricht.
Institution und Innovation sind keine zwingenden Gegensätze.

Innovation kann unsere Institutionen befruchten, schöner und gerechter machen, kann uns helfen, Sünden zu bekennen, Missbrauch der Institution und ihrer Autorität frühzeitig zu erkennen oder gar nicht erst zuzulassen. Die Institution kann uns als Individuen und als Gemeinschaft zur Innovation ermächtigen, ermutigen, stärken, indem sie demokratische Teilnahme fördert und ihre Führungsstrukturen dem entsprechend umbaut, dadurch würde sie dem Priestertum aller Gläubigen mehr und mehr auch institutionell Gestalt und Raum geben.

Denn jeder einzelne von uns kann dazu beitragen, dass unsere Institution vorzu erneuert wird, offen dafür bleibt, dass Gott in unsere Zeit hineinspricht und wirkt. Indem wir selbst mutig wie Jesus Missstände ansprechen und aussprechen, fördern wir Gerechtigkeit.
Wenn wir Kritik üben, dann nicht, weil wir unsere Kirche als Institution verachten würden, sondern gerade weil wir sie lieben, weil wir wollen, dass unsere Gemeinschaft Gottes Namen Ehre macht, auch wenn das bedeutet, dass wir Sünden offenlegen, bekennen und die Beschämung für die Verfehlungen unserer Institution oder für unser Wegschauen und Schweigen aushalten.

Ecclesia reformata semper reformanda

In Jesus Christus werden unsere Institutionen bewegte, himmelwärts strebende, lebendige immer wieder sich erneuernde Institutionen. Und haben wir unsere Hoffnung im Himmel, so haben wir auf Erden nichts zu verlieren.
Dann wird die Kirche immer wieder auch ein Hort für die Geschlagenen, Notdürftigen, Suchenden und Müden werden.
Immer wieder auch eine feste Burg für alle, die Jesus nachfolgen, in der auch Zweifel willkommen geheissen wird, weil Gotteserkenntnis und nicht Furcht herrscht.
Immer wieder ein Bethaus, in dem wir das Hässliche in uns selbst umarmen lernen, weil Jesus uns liebt, wie wir sind, und uns alles vergibt.
Auch ein Vorhof des Friedens sein, in dem wir uns nicht beissen, auch wenn wir unterschiedliche Lehrmeinungen, Ansichten, Glaubenspraktiken haben mögen.
Ein Schulhaus des Glaubens, in dem wir voneinander lernen, in dem die Vielfalt aneinander eine Stärke ist und nicht eine Schwäche.
Und ein Menetekel, das uns mahnt, dass Gott Gott und die Welt Welt ist, dass unsere Institution niemals bis an den Himmel reichen wird, wenn sich Gott nicht zu uns hernieder neigt.

Unsere Tempel, Kirchen und Movements mögen ein Verfallsdatum haben, doch Gottes Wort hat kein Ende. Hört, was Jesus zu uns spricht:

„Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“ (Joh 14,23)

Darum erinnert uns Paulus daran, dass Gott in uns ist:

„Wir aber sind der Tempel des lebendigen Gottes; wie denn Gott sprach (3. Mose 26,11–12; Hesekiel 37,27): »Ich will unter ihnen wohnen und wandeln und will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein.«“ (2 Kor 6,16; vgl. auch Lk 17,20-21)

„Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“ (1 Kor 3,16)

Jesus hat den Tempel in Jerusalem nicht niedergerissen, sondern hat einen neuen Tempel für die ganze Welt gebaut. Jesus Christus, dieser gekreuzigte und auferstandene Menschen, war Gott leibhaftig und wandelte unter uns. Und er will auch heute leibhaft wohnen mitten unter uns, eben nicht mehr in steinernen Häusern oder starren Organisationen. Er will in die fleischernen Herzen echter Menschen einziehen, leben in der Liebe, die wir untereinander haben, und in Jesus Christus wohnt Gottes Geist, der Geist, der alle Furcht vertreibt, Gott selbst, in uns allen! Amen.


  1. „Alle Attribute des Messias sind die eines menschlichen Wesens in seiner höchstmöglichen Vollendung. Keine übermenschlichen Eigenschaften werden ihm beigelegt; all sein Ruhm, all sein Erfolg ist abhängig von dem Willen Gottes. Er ist ein idealer Mensch und ein idealer König, doch nicht mehr; wenn Wunder geschehen sollen, so ist es nicht der Messias, der sie ausführen wird, sondern Gott, der Wunder vollbringt für den Messias und für Israel. Von der Ankunft des Messias wird nicht erwartet, dass sie die Natur des Menschen ändert, viel weniger den Lauf der Welt um uns. Der einzige Wandel, den wir erwarten, besteht darin, dass die Einheit Gottes allgemein anerkannt wird und Recht und Gerechtigkeit überall auf Erden blühen werden. Die an eine übermenschliche Natur des Messias glauben, machen sich des Götzendienstes schuldig. Unsre Weisen sprechen dies Prinzip in den Worten aus אין בין העולם הזה לימות המשיח אלא שעבור מלכיות בלבד ‚Nur dadurch unterscheidet sich die Gegenwart von den Tagen des Messias, dass Israels Unabhängigkeit wiederhergestellt sein wird.‘“ Friedländer, Michael: Über den Messias, in: talmud.de: https://www.talmud.de/tlmd/ueber-den-messias/ (Aufgerufen: 23.02.23). ↩︎

  2. „Die Juden antworteten ihm: Um eines guten Werkes willen steinigen wir dich nicht, sondern um der Gotteslästerung willen und weil du ein Mensch bist und machst dich selbst zu Gott.“ (Joh 10,33) ↩︎

  3. „Aber Jesus schwieg still. Und der Hohepriester sprach zu ihm: Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, dass du uns sagst, ob du der Christus bist, der Sohn Gottes. 64 Jesus sprach zu ihm: Du sagst es. Doch sage ich euch: Von nun an werdet ihr sehen den Menschensohn sitzen zur Rechten der Kraft und kommen auf den Wolken des Himmels. 65 Da zerriss der Hohepriester seine Kleider und sprach: Er hat Gott gelästert! Was bedürfen wir weiterer Zeugen? Siehe, jetzt habt ihr die Gotteslästerung gehört. 66 Was meint ihr? Sie antworteten und sprachen: Er ist des Todes schuldig.“ (Mt 26,63-66) ↩︎

  4. Mt 16,16; vgl. auch Mt 14,33 nach dem Wunder auf dem See Genethsaret. ↩︎

  5. Kuhn, Matthias „Kuno“: Jüngerschaft. Wie bringen wir Lehre und Leben zusammen?, Winterthur 2019, 19. ↩︎



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